Niccolò Raselli, alt Bundesrichter und somit ein Mann, der das Gesetz und dessen Umgang bestens kennt, stellt in diesem Artikel anhand von Beispielen mögliche Folgen der Durchsetzungsinitiative dar. Es sind fiktive Beispiele mit fiktiven Namen. Alle Fälle könnten aber gestern schon passiert sein oder morgen passieren und entsprechen deshalb der Realität. Das Fazit ist, dass die Durchsetzungsinitiatve abgeleht werden muss, weil Verhältnismässigkeit und Einzelfall in einem Rechtsstaat immer geprüft werden müssen.

Beispiele möglicher Folgen der Durchsetzungsinitiative

von Niccolò Raselli, alt Bundesrichter

 (1) Der seit Jahrzehnten in der Schweiz wohnhafte Amerikaner Dave wurde vor 7 Jahren wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand zu einer Geldstrafe verurteilt. Inzwischen 65, erfährt er, wegen einer Beitragslücke keine AHV-Vollrente zu erhalten, obwohl er jahr­zehntelang hohe Beiträge abgeliefert hat. Im Zorn über die vermeintliche Ungerechtig­keit stösst er gegen einen Beamten eine Drohung aus. Obwohl nur zu ei­ner bedingte Geldstrafe verurteilt, müsste Dave die Schweiz automatisch verlassen. Dass er sich von seiner Schweizer Ehegattin, von seinen Kindern und Grosskindern tren­nen müsste, spielte so wenig eine Rolle wie der Umstand, dass er in den USA weder über Verwandte noch Freunde verfügt.

(2) Der in der Schweiz geborene und aufgewachsene Portugiese Amilcar wurde im Alter von 19 Jahren wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand bestraft. Neun Jahre spä­ter wird er in eine Schlägerei verwickelt. Weil dabei jemand verletzt wurde, werden alle Beteiligten wegen Raufhandels mit einer Geldstrafe belegt. Als Einziger der Teilnehmer müsste Amilcar das Land automatisch verlassen. Dass damit seine junge Familie auseinander gerissen würde, wäre unerheblich.

(3)Der in der Schweiz geborene und aufgewachsene Engländer John wurde als junger Erwachsener wegen Haltens einer Haschischpflanze bestraft. Jahre später macht er sich einer einfachen Körperverletzung schuldig. Da es sich um einen leichten Fall handelt, kommt er mit einer Busse davon. Dennoch müsste er die Schweiz automatisch verlassen. Dass seine betagten, in der Schweiz wohnhaften Eltern dadurch seine Unterstützung verlieren, wäre unerheblich.

(4) Der bei einer Bank angestellte Deutsche Friedrich hat gegenüber der Familienausgleichskasse den Ausbildungsunterbruch seines Sohnes nicht deklariert. Damit hat er sich des Sozialmissbrauchs schuldig gemacht und müsste die Schweiz automatisch verlassen. Dass er mit einer Schweizerin verheiratet ist und seine Kinder eingeschult sind, spielte alles keine Rolle.

(5) Der seit Jahren mit seiner Familie in der Schweiz lebende Libanese Ali hat gegenüber dem Sozialamt die Einnahmen seines Jungen Mohamed nicht angegeben, die dieser für den Ferienjob bei der Erni-Gartenbau GmbH erhalten hat. Er war der Ansicht, dieses Geld stehe Mohamed zu, weshalb es nicht zu deklarieren sei.  Ali muss die Schweiz automatisch verlassen. Seine Schweizer Ehefrau und seine Kinder verlieren nicht nur ihren Ehemann und Vater. Wahrscheinlich werden sie auch sozialhilfebedürftig

(6) Der seit vielen Jahren in der Schweiz ansässige Kroate Dragan erhielt von seinem Bruder 500 Franken geschenkt, um seinem Sohn Tomislav ein Kindervelo zu kaufen. Gegenüber dem Sozialamt erklärte er, keine Einnahmen generiert zu haben. Irgendwie kommt das Amt dahinter und erstattet Anzeige. In der Folge wird er wegen Sozialhilfebetrugs mit einer bedingten Geldstrafe geahndet und automatisch ausgeschafft.

(7) An der letzten Vorsprache auf dem Amt hatte der seit Jahren mit seiner Familie in der Schweiz lebende Tunesier Yusouf erklärt, dass er Arbeit als Monteur in Aussicht habe. Danach meldete sich Yusouf nicht mehr, obwohl er den Job im Juni erhalten hatte. Nachdem das Amt davon erfahren hatte, stellte es im Oktober die Sozialhilfe rückwirkend ein. Den entstandenen Schaden von gut 3’000 Franken beglich Yusouf wenig später samt Zinsen. Da nicht klar war, ob die Meldung mit Absicht oder eher wegen Nachlässigkeit unterblieben war, kam Yusouf mit einer bedingten Geldstrafe von 500 Franken davon. Allerdings wird er automatisch ausgeschafft. Dass damit seine Familie auseinander gerissen wird und sofort in wirtschaftliche Not gerät, spielt keine Rolle.

(8) Der französischer Banker Julien, seit Geburt in Genf lebend, machte beim Joggen einen Fehltritt und verknackste sich den Knöchel. Er schreibt in der Unfallmeldung, er sei über eine Baumwurzel gestolpert. Dabei hatte er einen Fehltritt gemacht. Die Arztkosten werden von der Unfallversicherung übernommen, obwohl es eigentlich ein Fall für die Krankenkasse wäre. Weil die Unfallversicherung im Gegensatz zur Krankenkasse keine Franchise und keinen Selbstbehalt kennt, hat der Banker diese um mehr als 300 Franken geschädigt. Julien wird wegen Sozialmissbrauchs automatisch ausgeschafft.

(9) Der in der Schweiz aufgewachsene 20-jährige Pole Andrej feiert mit seinen Schweizer Kollegen die Lehrabschlussprüfung. Betrunken brechen sie nachts in jugendlichem Leichtsinn in den Dorfladen ein, um sich alkoholische Getränke zu beschaffen. Sie werden erwischt und, da bisher unbescholten, zu einer Geldstrafe verurteilt. Während es für die Schweizer damit getan ist, würde Andrej automatisch das Aufenthaltsrecht verlieren, müsste Familie und Job verlassen und sich in ein Land begeben, das er nicht kennt.

FAZIT für die Abstimmung vom 28. Februar 2016:

NEIN zur „Durchsetzunginitiative“, weil Verhältnismässigkeit und Einzelfall in einem Rechtsstaat immer geprüft werden müssen.

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